Noh (能) ist die älteste Form klassisches japanisches Theater. Es ist sehr rituell und formalisiert. Wie Kabuki wird es ausschließlich von Männern gespielt. Einige Schauspieler tragen eine spezielle Noh-Maske, über die noch zu schreiben ist. Fast alle Stücke betreffen ein mythologisches Thema.
Die Sprache ähnelt der von Kabuki und ist schwer zu verstehen. Zudem haben einzelne Bewegungen und Posen spezielle Bedeutungen. Außenstehenden erschließt sich Noh daher nur schwer.
Historie
Die Ursprünge von Noh und Kyogen reichen zurück nach China und dort bis ins 8. Jahrhundert. In dieser Form beinhaltete Sangaku, wie es damals genannt wurde, Akrobatik, Gesang, Tanz und Komik.
Weitere Einflüsse hatten u.a. Shirabyoshi, ein traditioneller Tanz am kaiserlichen Hof des 12. Jahrhunderts, sowie Gagaku, Musik und Tanz vom kaiserlichen Hof des 7. Jahrhunderts.
Die Ursprünge des Noh in der noch heute gezeigte Form reichen ins 14. Jahrhundert und sind mit den Namen Kan’ami und Zeami Motokiyo verknüpft. Parallel entwickelte sich Kyogen, das ein Teil der ganztägigen Noh-Aufführungen ist.
In der Edo-Zeit war Noh ein Privileg der Samurai und Adligen. Noh selbst wurde weiter formalisiert und ritualisiert, hat sich seitdem kaum verändert. Damit ist das heutige Noh das Noh der Edo-Zeit.
Mit dem Ende des Tokugawa-Shogunats und Beginn der Meiji-Zeit endete die finanzielle Unterstützung des Noh. Schaustellergruppen und Bühnen verschwanden. Die Unterstützung des kaiserlichen Hofs war eine Folge des Interesse von Diplomaten an dieser Japanischen Kultur. Erst 1957 wurde Noh als wichtiges Kulturerbe von der japanischen Regierung unter besonderen Schutz gestellt.
Seit 2001 ist Noh zusammen mit Kyogen (Komödie, die in Verbindung mit Noh aufgeführt wird) auf der UNESCO-Liste des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.
Das Ensemble
Das Ensemble besteht aus den Schauspielern, Orchester, Chor und Bühnenassistenten.
- 囃子 .. Hayashi: Das Orchester besteht aus vier Musikern : Flöte (能管 .. Nokan), Trommeln (大鼓 .. Ozutsumi, 小鼓 .. Kozutsumi und 太鼓 .. Taiko). Die Musiker sitzen auf der Bühne im Hintergrund.
- 地謡 .. Jiutai: Der Chor besteht aus 6-8 Leuten.
- 後見 .. Koken: Dies sind ein bis drei Assistenten.
Die Schauspieler lassen sich in 4 verschiedene Rollen unterscheiden:
- 仕手 .. Shite: Er spielt die Hauptrolle. Bei Rollen, die sich während der Aufführung verwandeln, spricht man von Mae-Shite und Nochi-Shite
- 仕手連れ .. Shitesure: Er ist der Begleiter des Shite.
- 脇 .. Waki: Er spielt den Gegenpart.
- 脇連れ .. Wakitsure: Er ist, analog zum Shitetsure, der Gefährte des Waki.
- 狂言 .. Kyogen: Er spielt die Kyogen-Stücke zwischen den einzlnen Noh-Stücken.
Da Orchester und Chor ein großer Teil eingeräumt wird, wird Noh oft als japanischen Äquivalent zur westlichen Oper gesehen. Obwohl beim Noh nicht der Schauspieler singt, sondern der Chor. Im Vergleich zur Oper ist der Gsang auch sehr reduziert im Unfang der Tonhöhen und Dynamik. Er hat damit mehr von den gesungen Gebeten der buddhistischen Mönche. Der Gesangsteil eine Noh-Stücks wird Utai genannt, der gesproche Teil Kataru.
Schulen und Familien
Für Shite gab es in der Edozeit vier bedeutende Schulen: Kanze (観世), Hosho (宝生), Komparu (金春), Kongo (金剛). Eine fünfte Schule entstand in der Meiji-Zeit: Kita (喜多). Die älteste der 5 Schulen ist Konparu als Nachfolger von Mimashi, der Gigaku (einer nicht mehr existierenden Form eines Masken-Tanzdrama) im Jahr 612 in Japan einführte.
Waki-Schauspieler entstammen den Schulen Takayasu (高安), Fukuou (福王), und Hosho (宝生). Kyogen wird in zwei Schulen unterrichtet: Okura (大蔵) und Izumi (和泉). 11 Schulen bilden die Musiker aus.
Die Ausbildung des Noh-Schauspielers ist Familientradion und beginnt oft bereits im Alter von 3 Jahren.
Noh ist traditionell rein männlich. Seit WWII gibt es aber auch weibliche Darsteller. In 2009 kamen auf 1200 männliche Schausteller etwa 200 weibliche.
Jede der 5 Schulen hat eine iemoto Familie, die den Namen der Schule trägt und Teil der Tradition dieser Schule ist. Der Iemoto ist es erlaubt neue Stücke zu schreiben oder existierende zu verändern. Aus diesen Schulen stammen die Shite-Schauspieler.
Die Bühne
Die Bühne hat ein spezielles Design. Wer wie ich noch nie ein Noh-Stück gesehen hat, kennt die Bühne dennoch. Sie ist immer wieder Teil eines Shintoschreins. Der erste Schrein, der mir hier einfällt, ist der berühmte Itsukushi Jinja auf Miyajima. Hier werden sogar regelmäßig open-air Nohstücke aufgeführt.
Die zentrale Bühne ist quadratisch und durch die 4 Pfeiler (12-15) begrenzt. Rechts von der Hauptfläche sitzt der Chor (8). Hier ist auch der Sitzplatz des Waki (9). Hinter der Hauptbühne ist der Bereich der Musiker (4-7) und der Wartebereich der Bühnenassistenten (3).
Hinten links ist der Hashigakari (1). Über ihn betreten und verlassen die Schausteller die Bühne. Hier ist auch der Wartebereich des Kyogen (2).
Der Shite steht hinten links auf der Bühne (11). Der Waki agiert vorne rechts (10). Die Positionen sind durch den Pfeiler 13 bedingt und ermöglicht allen Zuschauern, die vorne und links um die Bühne herum sitzen, einen Blick auf die Handlung.
Es gibt keinen Vorhang. Dafür gibt es immer ein Dach, auch bei Bühnen in Gebäuden. Wie beim Sumo markiert das Dach eine heilige Stätte. Das Design leitet sich vom Haiden (Gebetshalle) des Shinto ab.
Die 4 Pfeiler, die das Dach tragen, heißen Shite-Bashira, Metsuke-Bashira, Waki-Bashira und Fue-Bashira, benannt nach der Schauspieler, der am nächsten zu ihm steht.
Wie die Masken ist auch die Bühne aus Honoki gefertigt. Sie hat so gut wie keine dekorativen Elemente mit Ausnahme einer der Malerei einer Pinie hinter den Musikern.
Die Hashigakari ist eine Brücke, die zwei Welten verbindet. Sie symbolisiert die mystische Natur des Noh. Die Brücke verbindet die mystische Noh-Welt mit der Realität.
Es gibt keinen Vorhang. Das Stück beginnt mit Betreten der Bühne und endet, wenn die Schauspieler die Bühne verlassen. Bei Veranstaltungen in Gebäude bleibt die Beleuchtung in der Regel an.
Masken
Die Masken (Nomen, 能面 oder Omote, 面) sind ein herausragendes Element des Noh. Sie sind einzigartig. Auffälligste Eigenschaft ist der Wechsel des Gesichtsausdruck mit dem Neigungswinkel der Maske. (Ich habe mir ein Bild von wikipedia geliehen, da ich keines habe.)
Es gibt etwa 250 traditionelle Maskentypen for die Darstellung von verschiedenen Charakteren. Sie bedienen sich dabei Stereotypen zur Darstellung von jungen Frauen, alten Frauen, Männer, Dämonen, Göttern, … Für die Rolle eines erwachsenen Manness wird keine Maske benutzt, da dieses Gesicht von erwachsenen Schauspieler direkt dargestellt werden kann.
Die Masken sind kleiner als das menschliche Gesicht. Dadurch soll der Schauspieler größer wirken. Bei Frauenmasken soll dies zudem die Ästhetik erhöhen.
Verwender wird Zypressenholz aus dem Kisodani (Stichwort: Nakasendo, 2012), das für 6 bis 7 Jahre in frischen und in Salzwasser gelagert wurde. Einzelne Noh-Masken gelten als Kunstwerk.
Die Masken werden aus einem einzigen Block Honoki gefertigt. Die Farben sind naturliche Pigmente. Als Grundierung dient ein Mix aus Leim und Muschelkalk.
Es gibt etwa 450 verschiedene Maskenarten, basierend auf 60 verschiedenen Typen. Die Nohmaske nutzt Stereotypen um verschiedene Personen in Geschlecht, Alter und sozialem Rang darzustellen. Die Maske wird im Regelfall nur vom Shite getragen. Der Waki nutzt diese gelegentlich bei weiblichen Rollen.
Durch die Maske ist es Schauspielern nur durch Körpersprache und Gesten möglich, Emotionen darzustellen.
Auf der anderen Seite sind Masken derart geschnitzt, dass ihr Gesicht je nach Neigung und Lichteinfall unterschiedliche Emotionen zeigen kann.
Die vermutlich älteste Maske ist ein Schatz der Konparu-Schule. Sie soll von Prinz Shotoku (572-622) geschnitzt worden sein.
Wichtige Maskentypen sind:
- junge Frau (Ko-Omote, Maki-Masu, Waka Onna)
- mittelalte Frau (Shakumi – ruhig, Fukai – ernst, Daifain – gehässig)
- alte Frau (Uba – ruhig und bescheiden, Rojo – alt und faltig)
- komische Frau (O-Kame – bäuerlich und lächelnd)
- boshafte Frau (Hannya – grün und mit Hörnern)
- Junger Mann (Kasshiki – Gehilfe, Jifo – Halbgottkind)
- alter Mann (Kojo – vornehm, Sankojo – bescheiden, Chujo – endler Krieger, Maijo – kahler Mann, Hakujikijo – weißer Bart und Haare, Yorimasu – betagter Krieger, Heida – Krieger)
- komischer Mann (Hyottoko – verzerrter Mund und asymmetrische Augen)
- Geister (i.d.R. als blinder Person abgebildet)
- Götter/Dämonen (Shishiguchi – Löwenkopf, Obeshimi – Monster, Otobide – Göttlichkeit mit hervorstehenden Augen, Tengu – Dämon mit rotem Gesicht, Kurihage – Drache, Oni – Dämon mit rotem Gesicht und Hörnern, Shojo – Seegeist, Buaku – Dämon)
- Tiere (Kawazu – Frosch, Kitsune – Fuchs, Saru – Affe)
Kostüme und Requisiten
Die Noh-Kostüme (Shozoku) sind teilweise sehr voluminös und ausladend. Sie sind aus Seide und aufwändig bestickt. Wie Noh-Masken sind auch die Shozoku eigene Kunstwerke. Der Aufwand für Shite ist dabei am höchsten, gefolgt von Tsure, Waki, Wakitsure und aikyogen.
Chor und Musiker tragen formale Montsuki Kimono, Hakama und Kamishimo. Die Assistenten (Kuroko) tragen schwarze Kleidung, wie im Bunraku, was sie auf der Bühne „unsichtbar“ macht und als eindeutig als nicht Teil der Handlung kennzeichnet.
In Noh werden nur wenige Requisiten verwendet;primär der Fächer. Der Fächer wird als Ersatz für alle anderen handgehaltenen Requisiten benutzt: Schwerter, Flöten, Schreibpinsel, …
Andere Requisiten werden von den Kuroko auf die Bühne getragen. Anders als im westlichen Theater aber in vollem Rampenlicht und mitten in der laufenden Szene. Besonderheit hier ist, dass die Requisiten in der Regel nur die Außenlinien darstellen. Boote beispielsweise sind nur ein Rahmen in Bootsform. Ausnahme ist eine große Glocke. Sie dient den Schauspielers als Umkleideraum, wenn sie auf der Bühne das Kostüm wechseln müssen.
Wie die Masken sind auch die Kostüme eigene hochgeschätzte Kunstwerke, die in Museen und Privatsammlungen aufbewahrt werden. Ihr Stil ist eine Mischung verschiedener Stiele und Epochen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Heute benutzte Kostüme sind meist Replikate alter Kostüme, da die Originale zu wertvoll sind. Dennoch kann man immer wieder Kostüme aus dem 16. Jahrhundert auf der Bühne sehen.
Noh-Aufführung
Noh-Aufführungen waren Ganztagsveranstaltungen. Ein volles Programm umfasst 5 Noh-Stücke (eines aus jeder Kategorie), die dem Jo-Ha-Kyuu folgen. Zwischen den Noh-Stücken werden Kyogen-Stücke gespielt.
Heutzutage wird in der Regel ein reduizerter Umfang bestehend aus zwei Noh-Stücken und einem Kyogen-Stück als Abendprogramm gespielt.
Jo-Ha-Kyuu
Das Basiskonzept ist wie bei Kabuki das Jo-Ha-Kyu: ein langsamer Start (Jo, Einführung), eine sich dann immer weiter beschleunigende Handlung (Ha, Entwicklung) und ein schneller Abschluss (Kyuu, Auflösung). Damit ist ein Noh-Stück immer in drei Akte zerlegbar.
Das Jo-Ha-Kyuu erstreckt sich auch über das traditionelle Ganztagesprogramm mit 5 Stücken: 2x Jo, 2x Ha, 1x Kyuu.
Die Handlung
Es gibt grob fünf Kategorien von Handlungen:
- 神物 .. Kamimono / 脇能 .. Waki Noh: Die Handlung ist feierlich. Der Shite spielt einen Kami oder Buddha. Seine edle Identität wird erst am Ende des Stücks offenbart. Er segnet die Handelnden, das Land und die Betrachter.
- 修羅物 .. Shuramono / Ashura Noh .. 阿修羅能: Es basiert meist auf dem Wirken einer Kriegerlegende. Der Protagonist erscheint als Geist eines Samurai der um Erlösung bittet. Das Drama endet in der Regel mit der Darstellung des Kampfes, indem der Samurai starb.
- 鬘物 .. Katsuramono / 女物 .. Onnamono: Dies ist oft ein tragisches Liebesdrama mit Sehnsucht, Neid und unerfüllter Liebe. Der Shite spielt hier eine Frauenrolle. Aus diesen Stücken stammt Fukushi Mugen Noh; eine Doppelphantasie-Noh, das Phantasie und Wirlichkeit vermengt.
- Drama vom Wahnsinn: Dies sind Stücke zu aktuellen Ereignissen.
- 鬼物 .. Onimono / 切り能 .. Kiri Noh: Hier sind die Taten eines Oni (Oger, Monster) das zentrale Thema. Diese Stücke sind oft mit schneller Handlung und werden als letztes Stück einer Ganztagsausführung gewählt (siehe Jo-Ha-Kyuu).
Elemente eines Noh-Stücks: Tanz
Der Tanz in Noh wirkt rituell und ist stark von symbolischen Gesten und Posen geprägt. Er wirkt surreal und stilisiert. In Noh ist kein Platz für Improvisation. Jede Bewegung hat eine Funktion. Der Tanz ist ein Destillat (Weglassen unwesentlicher Elemente) der Imitation von Gesten, die Aktionen wie Weinen, Kämpfen oder Schamanentänze darstellen. Es gibt auch Gesten für fallende Kirschblüten und den Schein des Vollmonds.
Die starke Formalisierung des Tanzes bewirkt, dass der Schauspieler eine Kata aus wenigen Schritten und Figuren läuft.
Elemente eines Noh-Stücks: Fußarbeit
Die Fußarbeit im Noh ist speziell. Der Schauspieler geht nicht, er gleitet wie ein Geist. Die Ferse verlässt nie den Boden. Der Fuß gleitet mit ebenfalls aufgesetztem Ballen und Zehen nach vorne. Am Ende der Bewegung wird der Ballen und die Zehen kurz gehoben und wieder aufgesetzt.
Noh kombiniert Masken, Kostüme, Requisiten, Tanz, Gesang und Musik in einer einzigartigen Form.
Emotionen werden nicht gespielt, sondern durch Gesten angedeutet.
Die Sprache ist Altjapanisch mit einer für westliche Ohren gewöhnungsbedürftigen Längung von einzelnen Silben und Variation der Stimmlage.
Kategorien von Noh-Stücken
- 現在能 .. Genzai Noh: handelt von Menschen. Hier werden Emotionen durch interne und externe Konflikte erzeugt.
- 夢幻能 .. Mugen Noh: handelt von übernatürlichen Wesen (Götter und Dämonen) oder Phantansien. Der Zeitverlauf muss nicht linear sein. Emotionen entstehen primär durch die zeitlichen Rückblenden.
- 両掛能 .. Ryokake Noh: ist eine Hybridform der zuvor genannten
Arten von Noh-Stücken
- 劇能 .. Geki Noh: Dramastücke mit Fokus auf die Handlung
- 風流能 .. Furyu Noh: Tanzstücke
Etikette
Die Etikette für Zuschauer kann mit dem des formalen westlichen Theater vergleichen werden. Es herscht Ruhe. Ein kleines Libretto dient dazu, der Handlung zu folgen.
Applaus am Ende gibt es nur verhalten, wenn die Schauerspieler die Bühne über den Hashigakari verlassen. Jeder Schauspieler erhält seinen eigenen Applaus. Die Schauspieler verneigen sich nicht und kommen auch nicht zurück auf die Bühne.
Zwischen den Akten wird Tea, Kaffee und Wagashi gereicht. Gelegentlich gibt es Omiki (zeremoniellen Sake) nach dem Ende des Stücks. Dies ist ein eindeutiger Einfluss des Shinto.
[Stand: 07/2017]