Maßstäbe

Um 8 Uhr japanisches Frühstück. Zu früh und nicht ganz mein Fall. Egal. Ich werde es überleben. Erster Stop wird der Sakurayama Hachimangu auf der anderen Flußseite. Gleich nebenan ist das Museum mit der „Festival Float Exhibition„.

In Takayama gibt es 23 alte und imposante Festwagen. Auf zwei Festen im Jahr wird jeweils die Hälfte der Wagen gezeigt. Den Rest der Zeit lagern sie in nahezu bunkerähnlichen Garagen. Die Festwagen sind als nationales Kulturgut eingestuft und entsprechend wertvoll. 5 Festwagen sie hier im Museum ausgestellt. Die eizigen Chance, sie außerhalb der Feste zu sehen. Die Wagen sind aus Holz und sie sind groß. Das Holz ist mit vielen Schnitzereien verziert. Jetzt verstehe ich, warum sie den Titel Nationalschatz haben. Die Fotos von den Festen zeigen ein Japan wie aus dem Reiseführer oder aus der Zeitung von 1850, wenn man die Touristen aus dem Bild kürzt. Sie wirken wie aus einer vergangenen Epoche, die plötzlich wieder gegenwärtig ist.  Wow.

Gleich nebenan ist die Austellung eines Modells von Nikko. Zum fotografieren ist es zu dunkel, aber wenn man mit dem Tele in die Modelle zoomt, ist man in Nikko. Die Details sind erstaunlich, und das will was heißen. Ich kenne das Original. Eine entsprechende Äußerung von mir gegenüber dem Personal hatte selbige nicht erwartet. Von den anwesenden Japanern waren wohl nur die wenigsten schon einmal in Nikko.

Noch ein Raum weiter ist eine Ausstellung und eine Vorführung der Puppenspieltechnik. Ich kannte diese kleinen Puppen die Tee servieren und umdrehen, wenn man die Tasse vom Teller nimmt. Das ist ist eine stufe höher; Holzhandwendwerk auf höchsten Niveau. Nicht nur sind die Puppen und ihre Mechanik aufwendig aus Holz konstruiert, noch imposanter ist der Aufwand, der betrieben wird, um diese Puppen zu animieren. Eine Puppe wandert von einem Holzbanken zum anderen. Wie eine Mariottte, aber ohne Fäden. Man muß es gesehen haben. Beschreiben kann man es nicht. Fäden gibt es trotzdem. Ein Blick hinter die Kulisse zeigt, weie viele davon nötig sind, um die Bewegung zu koordinieren. (Nachtrag: In der 2008er Reise gibt es youtube-videos, die die Puppen in Aktion zeigen). Eine andere Puppe schwingt als Zirkusartist von Trapez zu Trapez.

Genug Museum. Es ist bestes Wetter. Nicht zu heiß, sondern gerade hochsommerlich richtig temperiert. Ich laufe durch das Altstadtgebiet, daß oft als Little Kyoto bezeichnet wird. Ich finde die schmalen Gassen mit den den Häusern aus fast schwarzem Holz noch schöner als in Kyoto. Hier kann man sie in der architektonischen Vergangenheit Japans verlieren, wären da nicht die vielen Touristen. Fast alle Häuser sind kleine Läden, die vorrangig Holzwaren anbieten; vom Eßstäbchen bis zum Tellerset; dazwischen immer wieder Läden mit Essen. Nächster Stop ist die Präfekturbehörde und der Takayama Jinja. Ein japanisches Gebäude wie aus dem Bilderbuch: große Tatamiräume; Schiebetüren; überdachte Wandelgänge. Am liebsten würde ich hier einziehen.

Der nächste Stop soll ein Museumsdorf außerhalb von Takayama werden. Ich verlaufe mich fast und unterschätze den Maßstab der Karte. Bei mittlerweile 34°C und immer nur bergauf ist das echt fies. Kurz vor dem Dorf sehe ich ein Schild mit „Forest of the seven lucky Gods“. Warum nicht. Hier stehen 7 große Holzstatuen von irgendwelchen Göttern. Die ganze Anlage ich ein wenig verkommen. Das Museumsdorf ist wie das in Molfsee. Alte Häuser aus dem Hida-Gebiet wurden hier wieder aufgebaut. Teilweise sind es auch Neubauten nach alten Anweisungen. Sie geben einen guten Einblick in die Bautechnik dieser Region, die nach den Schildern anders sein soll, als im Rest Japans. Ich glaube das mal. Alles in allem ist es eine sehr schöne Anlage, in der ich fast 2 Stunden verbringe.

Der Rückweg ist wieder ein Irrtum im Maßstab. Eigentlich wollte ich nur kurz zur Burgruine hinter dem Museum. Daraus wird ein steiler Anstieg von über 2km. Der Weg ist als solcher teilweise nicht zuerkennen. Irgendwie schaffe ich es dennoch und genieße den Blick von 850m üNN auf Takayama. Dann der zweite Fehler. Hier ist der Maßstab auf der Karte definitiv falsch. Erst nach einer Stunde erreiche ich den Squirrel-Park, der schon geschlossen hat. Bleibt der Fußmarsch (zum Glück geht es ab hier bergab) nach Takayama. Keine Ahnung wie weit es ist und wie lange es dauert. Ich traue der Karte keinen Zentimeter mehr. Als ich die ersten Häuser erreiche ist es schon fast dunkel. Ein Lawson. Endlich Proviant und Getränke .. und eine Möglichkeit den Weg zu erfragen, denn ich bin mir nicht eimal sicher, ob das hier Takayama ist. Ich bin dem Ziel dichter als befürchtet.

Um 19 Uhr bin ich wieder am Ryokan. Völlig platt. Das Onsen ist für solche Situationen der ideale Ort. Die Japaner haben das wirklich raus: Erst duschen, dann in das kochend heiße Becken. Man entspannt in Sekunden. Der einzige Gedanke in meinem Kopf: Wie kann ich das zu Hause nachbauen. Ich will so ein Onsen. Aber auch dieser Gedanke schmilzt in der Hitze des Wassers.

Anschließend laufe ich noch einmal durch die moderne Seite von Takayama. Ramen als Abendessen ist immer wieder lecker. Ein Japaner setzt sich neben mich und textet mich zu; auf japanisch. Die Bedienung meint noch „Sake, Crazy“. Zu spät. Ich versuche ihm klar zu machen, daß ich kein Wort verstehe, er aber weiter redet und ich avanciere zur Attraktion der Kneipe. Raus komme ich aus der Nummer nicht mehr, also muß ich das Beste draus machen. In der Retrospektive war das schon ein witzige Aktion.

Anmerkung „Steaks“: Sie scheinen hier die lokale Spezialität zu sein. Jeden Region in Japan ist berühmt für ein Gericht. In Hiroshima ist es Okonomiyaki, in Sapporo Ramen und an der Spitze von Hokkaido Seeigel. Japaner denken teilweis in regionalen Delikatessen. Nach dem Motto: Hast du es nicht gegessen, warst du nicht da. Hier scheint es Steak zu sein. Aber die Preise! 6000 bis 9000円 für die besten Stücke. Umgerechnet 40-60€ bei aktuellem Wechselkurs. Und nun das Kleingedruckte: FÜR 100 GRAMM. Wow. Ich erfahre, daß Hida-Rind wie Kobe-Rind  ist, es darf sich nur nicht so nennen. Das Fleisch selbst sieht witzig aus. Es ist komplett durchzogen von dünnen Fettsträhnen. Es erinnert ein wenig an Bienenwaben. Das Steak gestern war Hida-Rind und ja, es macht den Unterschied. Das war nicht nur Fleisch. Das war „Wow!“