Tag ohne Koffer

Der Tag ohne Koffer beginnt. Meinen Plan für heute ist mangels Kamera über den Haufen geworfen. Stattdessen geht es nach Shinjuku zu diversen Kamerageschäften (nichts gefunden) und anschließend ins Schwertmuseum. Der Weg dahin führt durch eine typische Tokyogegend. Hier wird gerade die Autobahn gebaut. Etwa 20 Meter über dem Fußweg. Sieht schon bizarr aus, wie sich diese Trasse aus Stahl zwischen den Häusern durchschiebt und gefühlt frei schwebend über der Kreuzung, an der ich stehe, endet. Bis zum nächsten Träger sind es noch 30m.

 

Gegen 14 Uhr geht es weiter nach Shibuya. Tower 109. Das Geheimnis hinter der Zahl:10 wird „to“ gelesen, die 9 „kyu“, also Toyku. Gerüchteweise sollen sich in diesem Gebäude 190 Kneipen befinden, was aber nicht stimmt. Dann geht es weiter nach Akihabara. Hier finde ich eine gebrauchte K100D. Gekauft. 6.3000円, umgerechnet knapp 450€. Damit kann ich leben, und für mich beginnt das digitale Zeitalter.

Weiter zur Ginza. Hier soll es ein Sakemuseum geben. Die Adresse ist wie immer schwer zu finden. Ich habe die Straße und den richtigen Häuserblock. Aber wo ist diesen blöde Hausnummer und das Museum? Ich laufe zwei mal im Kreis, dann Frage ich nach. In einem Geschäft hat man einen Stadtplan. Obwohl es eher wie eine taktische Karte aussieht. Ich kann mit diesem Modell nichts anfangen. Die Verkäuferin schon. Ein Telefonat später die Lösung: Das Museum gibt es nicht mehr. Und nun? Ich laufe einfach die Ginza runter (bis nach Shiodome) und wieder rauf. Ginza ist Edelshopping auf 2km Länge und bis zu 12 Etagen. Hier ist alles vertreten.: Boss, YSL, Jil Sander, Burberry, Armani, Bulgari, Gucci, … Alles über meiner Preisliga. Jetzt erst einmal ein Stop. Kaffee und Kuchen. Das muß sein. Außerdem wird es dunkel. Höchste Zeit für was Eßbares.

Auf dem Weg nach Tokyo Eki bin ich irgendwo verkehrt abgebogen. Keine Ahnung wo ich bin. Es dauert ein wenig bis ich einen Eingang zum Untergrund (Yeasu) finde. Der Bereich um den Banhhof ist unterkellert, primär mir Restos und Izakaya, aber auch kleinen Geschäften. Wenn man die Karte sieht und anschließend durch die unterirdischen Gänge läuft, hat man leicht das Gefühl, daß das ganze so groß ist wie die Lübecker Innenstadt. Erschwerend kommt hinzu, daß nicht nur verwinkelt ist, sonder auch über mehrere Ebene läuft). Hinzu kommen die Kelleretagen von Bürogebäuden und Kaufhäusern, Der Bahnhof Tokyo Eki und ich glaube 6 U-Bahnstationen. Ich rede ich hier von Stationen, nicht Linien. Tokyo, Otemachi, Nihonbashi sind einzelne U-Bahnstationen. Sie sind alle untereinander verbunden. Man kann sich hier echt verlaufen. Glaubt mir.

Um 20 Uhr bin ich wieder am Hotel. Reichtzeitig für die Nachricht, daß ein Taifun auf Kyuushuu trifft. Autsch. Aber bis Kyushuu sind es noch ein paar Tage. Kein Grund nervös zu werden. Und … Mein Koffer ist da. Jetzt kann der Urlaub losgehen. Nach einer Dusche. Das Wetter ist einfach zu fies. Keine 5 Minuten und die Klamotten kleben.

Erfrischt starte ich erneut nach Shibuya. Bei Nacht ist dieser Bezirk einfach besser. Bunt und laut. Wie im Fernsehen. Wahrzeichen dieses Stadtteils ist die große Kreuzung mit den beiden überdimensionalen Bildschirmen. Beide haben Ton, was nicht gerade zur Übersicht in diesem Wirrwarr beiträgt. Nach einigen Stops ist es Zeit, den Rückzug anzutreten. Wenn ich mich recht erinnere fahren gegen Mitternacht die letzten Züge. Diese werden proppevoll sein. Den Gedanken haben aber auch andere. Es gibt zwei Wege von hier zum Hotel: die Yamanote und die Ginza-Linie der U-Bahn. Aber das ist auch egal. Die Fahrzeiten sind ähnlich und beide sind überfüllt. Aber immer noch besser als zu Fuß zu laufen. Die Strecke kenne ich noch von 2004. Das sind mehrere Stunden.

Link: Der Yamanote-Song
Link: Yamanote-Melodies (oder was man alles kaufen kann)

direkte Umwege

JAL war am Wochenende noch guter Dinge. Allerdings, die Flugpläne in ganz Europa sind immer noch chaotisch. Auch der letzte Anruf gestern bei Lufthansa brachte keine neuen Erkenntnisse. Am Samstag gab es eine kurze Klamottenshoppingtour. Heute soll es losgehen. 9 Uhr, Regen. Das beste Wetter zum verschwinden. Also Koffer packen und die Bude aufräumen. Um 13 Uhr kommt der familiärer Fahrservice.

13:30 Uhr. Die Wohnung ist offline (Strom, Wasser, Gas). Es geht los. Ein größerer Stau in Norderstedt schafft Nervosität. 5 Minuten vor dem Beginn des Check-in stehe ich am BA-Schalter. „Sind sie Herr Boller?“ Die Frage hatte ich nicht erwartet und macht nervös. Die fragen doch nur, wenn etwas schief geht. Die Maschine nach Londen hat Verpätung und ich kriege den Anschlußflug nicht. Super. Man will mich auf Shiphol umbuchen. Keine Diskussion. Umbuchen. Sofort. Hautsache weg von hier und nach Japan. Der Computer streikt; wieder nervös… 15 Minuten später habe ich die Tickets. Bloß weg, bevor noch was passiert.

Wegen der Shinais im Gepäck muß ich zum Schalter für Sperrgepäck. Lucky. Die Schlange ist kürzer. Die Boardingkarten habe ich schon aus der Umbuchaktion. Handgepäck ist nicht erlaubt und muß auch eingecheckt werden. Hier haben alle Angst, daß noch einer so einen Stunt durchziehen will. Trotzdem etwas paranoid. Ich darf nicht einmal den Zettel mit der Hotelbestätigung mitnehmen. Bücher und Zeitschriften, alles ist verboten. Von mir aus, dann Reise ich halt leicht, solange ich Reise.

Schiphol

Der Flieger nach Schiphol ist süß. In die Büchse passen vielleich 70 Leute inklusive Personal. In Schiphol habe ich 45 Minuten bis zum Boarding nach Narita. Das ist genug Zeit für eine Pizza und DutyFree-Einkäufe machen (selbst das war in Hamburg verboten). Der Flug selbst ist langweilig. Ich halte mich mit dem mageren Kinoprogramm bei Laune. Abendessen und Frühstück waren nicht der Renner, aber ok.

Narita

Die Vorfreude auf das Unbekannte von der ersten Reise ist nicht zu spüren; eher ein genauso aufregendes: „Mal sehen, ob es genauso wird“. Ich werde ausgebremst. Diese Reise steht unter einem wirklich schlechten Vorzeichen. Mein Gepäck ist weg. Die Shinais sind da, aber vom Gepäck und dem Handgepäck keine Spur; Keine Kamera, keine Klamotten, keine Reiseunterlagen und kaum Geld. Streßpegel steigt, Laune sinkt. JAL will das klären. Ich bekomme erst einmal 1.0000円 (*) für das Nötigste. Wenn das Gepäck in 2 Tagen nicht da ist, gibt es weitere Auslagenerstattungen. Das Problem ist da schon eher die fehlende Kamera und alle Unterlagen inkl. Karte zum Hotel.. Da ich nur 3 Tage in Tokyo bin, besteht die reelle Gefahr, daß ich vor meinem Gepack davonlaufe.

15:58 Uhr. Ich habe keine Klamotten aber ich bin bewaffnet; immerhin ein Anfang. Auf den Streß erst mal ein Bier und danach zum Keisei Liner nach Ueno. Nach dem Check-in und der Verkündung der Koffer-Situation geht es zu Matsuzakaya; Klamotten kaufen. Scheiße ist der Kram teuer. Die billigsten Socken in meiner Größe sind von YSL. Anschließend geht es durch Akihabara auf die Suche nach einer Kamera, falls die Koffer sich nicht wiederfinden.

Der Abend endet mit einem Essen im Resto vom Edoya (auf Gutschein): Tempura, scharf angebratenes Rindfleisch, Miso, Reis … und ein großes Bier. Das brauche ich jetzt. Der Urlaub kann beginnen; mit einem Abstecher zum Uenopark und Yushima Tenmangu; zum Abschluß Onsen auf dem Dach.

Akihabara
Akihabara

(*) Exkurs: Der Punkt ist an der richtigen Stelle. Das japanische Zahlensystem hat eine Zählstufe mehr als das europäische und gruppiert in 4er-Kolonnen. Man kennt hier neben den Zehn (To), Hundert (Hyaku) und Tausend (Sen) auch noch Man, das wie bei uns die Tausend, die nächste Stufe einleitet, nach der es mit Zehn (To) wieder los geht. Bei Uns wären es Zehn-Tausend und Hundert-Tausend; in Japan Man und To-Man. 1 Million die nächste Stufe in Europa ist hier Hyaku-Man. Aber keine Angst. Bei Preisen steht der Punkt an der europäischen Stelle, nur in Worten gezählt wird weiterhin japanisch. Punktposition und Zahlwort passen also nicht zusammen.

Unbeständigkeit

In London geht immer noch nichts. JAL und BA hoffen, daß am Montag alles wieder läuft. Ich werde trotzdem morgen erneut anrufen. Die sollen mich lieber umplanen. Die Bestätigung aus Miyajima habe ich heute bekommen, damit sind die beiden High Lights gesichert: Miyajima und Takayama. In Kawaguchi habe ich immer noch Kontaktprobleme. Ich buche jetzt einfach online. Wird schon schief gehen.