Ich muß nur noch der Meiji Dori folgen. Es geht bergab und es ist nicht mehr so heiß. Aber der Tag hat seinen Tribut gefordert. Ich bin platt. Rechts ein Tempel. Ein letzter Stop auf der Karte bevor ich in Shibuya bin. Die Straße geht jetzt bergab und endet direkt an der Kreuzung mit den beiden großen Bildschirmen.
Shibuya. Die Kreuzung ist wie im Fernsehen. Zwei riesige Bildschirme. Beide mit Ton. Es ist laut, bunt, chaotisch. Kein Wunder, daß dies zum Inbegriff, zum Wahrzeichen des modernen Tokyo wurde. Shibuya ist ein Amusement District. Kneipen, Cafes, Spielhallen, Rotlichtbezirk. Einzig den Love Hotel Hill finde ich nicht. Oder ich bin dran vorbei ohne es zu merken. Überall junge Japaner, die mit Handzetteln für Kneipen mit „Service Charge“ werben. Andere stehen mit großen Fahnen und Megaphon auf der Straße; Sonderangebote bei Elektronladen nebenan. Fast jede Kneipe hat eine CD-Player auf der Straße für Beschallung, also für die Beschallung der Straße. Wow. Es ist laut und so viele Leute. Die Straße ist voll wie in Lübeck Diskotheken zur Spitzenzeit. Noch lauter und noch heller wird es, wenn man einen Pachinko-Laden passiert. Diese japanische Glücksspielvariante wird sich einem Europäer nie erschließen. Man wirft kleine Kugeln in ein Gerät, dort fallen sie dann runter, kollidieren mit Hindernissen und wenn sie im richtigen Loch verschwinden, gibt es noch mehr kugeln. Ich hatte als Kind so etwa. Aus Holz. Ich wage es nicht hinein zu gehen. Lautstärke und Lichteffekte sind kurz vor der Auslösung epileptisher Anfälle.
Alles konzentriert sich um den Bahnhof. In Shibuya Eki (Eki = Bahnhof) kreuzen sich mehrere Bahn- und U-Bahn-Linien. Er ist das Zentrum. So wie es aussieht hat Tokyo nicht ein Stadtzentrum, sondern mehrere. Jeder große Bahnhof bildet ein Zentrum.
Das Publikum ist in Shibuya ist jung. Ich sehe jetzt um 19 Uhr Jugendliche in Schuluniform. Waren die noch nicht zu Hause oder ist das ein Fashion Statement? Ich vermute: Die Freizeit wird in Bahnhofsnähe verbracht. Dazu die Business Men mit ihren dunklen Anzügen und Krawatte. Auf dem Weg nach Hause oder in die Kneipe. So wie es aussieht ist keiner in Tokyo um 19 Uhr zu Hause.
Um 21 Uhr immer noch das gleiche Bild. Ich trete langsam den Rückzug an. In der U-Bahn bestätigt sich meine Beobachtung von gestern: Schlafen, auf seine Schuhe schauen, Manga lesen oder ganz leise und hinter vorgehaltener Hand telefonieren. Es ist ruhig.
Schnappschüsse
Hier eine Reihe von Dingen, die mir aufgefallen sind. Ich konnte sie irgendwie nicht in den Text einbauen.
- Feuerwehrautos — Sind die süß. Ich kannte diese kleinen japanischen Mini-Vans, aber daß dieses Prinzip auch auf Feuerwehrautos angewendet wird. Ich bin fast versucht den Gürtelclip an dem Wagen zu suchen. Staffelfahrzeug. Keine Ahnung wie die alle in das Auto passen.
- Privatenwagen — gibt es nur in Extremen. Entweder diese Minihütten oder große Schlitten. Honda baut was, das auf dem Niveau eines 5er BMW spielt.
- Motorroller — groß, Doppelsitz, oft getunt, daß die Heide wackelt.
- Getränkeautomaten — überall. Es muß hunderte geben in Tokyo. Es ist unglaublich; und ein Segen bei diesem Wetter. Der Preis für eine Flasche liegt bei 100yen bis 150yen, also knapp 1€. Es gibt alles: Tee, Fruchtsaft, Cola, Engergydrinks. Ich habe bei diesem Wetter bestimmt schon 1000yen getrunken.
- Tempel — Es gibt kleinste Tempel und Schreine an jeder Ecke. Meist sind sie etwas verteckt zwischen oder hinter 2 modernen (häßlichen) Häusern. Aber sie existieren noch.
- Raum — Japaner sind Platzsparer. Jeder Quadratmeter wird irgendwie genutzt. Es gibt hier Geschäfte, die sind gerade mal groß genug für den Besitzer. Man kauft durch das offene Fenster.
- Fußwege — sind schmal. Radfahrer nutzen die Fußwege. Die Häuser haben keine Vorgärten. Die Haustür ist quasi auf dem Gehweg.
- Häuser — Viele Häuser haben einen Grundfläche von vielleicht 5x5m, sind dafür aber mehrere Etagen hoch.
- Müll — wird mit Schiffen in die Tokyo Bucht gefahren und dort zu neuen Inseln aufgeschüttet. Das mit Inseln könnte ein Gerücht sein, das mit den Müllschiffen stimmt.
- Taxi — Die Taxen haben automatische Türen. Man steigt hinten ein. Die Sitze haben Bezüge aus weißer Spitze. Sieht aus wie die gute Tischdecke von Oma. Aber das Taxi wirkt dadurch vornehmer. Der Faher trägt Anzug und Handschuhe. Einigen tragen sogar eine Chaffeurmütze. Aber es gibt so gut wie keine jungen Taxifahrer. Alle scheinen 50+ zu sein.
Fazit: Ich habe die Maßstäbe von Tokyo total unterschätzt. Das waren 20km. Morgen nehme ich die U-Bahn. Dafür, daß ich den ganzen Tag auf Achse war, habe ich wenig gesehen. Morgen muß ich das optimieren.