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Iyatal; Wanderung

Nach einem weiteren japanischem Frühstück folgt der Check-out. Am Bahnhof werden die Koffer im Coin-Locker deponiert. Ein Express nach irgendwo hinter Kochi bringt mich schnell nach Süden zum Eingang ins Iyatal.

Hier ist Endstation. Die Touristeninfo ist heute geschlossen. Ich habe keinen Plan, wie ich vom Bahnhof irgendwohin komme. Ich war durch den Reiseführer vorgewarnt, dass man ohne Mietwagen aufgeschmissen ist. Bis zur Kazurabashi sind es über 10 km über eine Passstraße. Busverbindungen sind so gut nicht vorhanden. Der nächste Bus beispielsweise fährt erst in einer Stunde.

Ein Anwohner (?) sagt mir, dass es mit dem Taxi etwa 3500yen sind. Das halbiert meine Bargeldreserven, aber egal. Es geht mehrere hundert Höhenmeter hinauf und dann wieder bergab. Der Taxifahrer fährt mich direkt zum Eingang zur Brücke. Die Busstation ist eine paar Serpentinen nach oben.

Die Brücke ist aus Ästen geflochten. Der Weg besteht nur aus kleinen etwa 10cm dicken Kanthölzern. Der Abstand dazwischen ist groß genug, dass man zwar nicht durchfallen kann, aber zumindest das Bein komplett hindurch passt. Die Brücke schwankt und knirscht. Durch den Regen von gestern ist alles rutschig. Das ideale Rezept für Adrenalin. Vor mir ist ein Stapel Chinesen. Viele schaffen es kaum bis zur Mitte.

Eine Hand für die Kamera, eine fürs Geländer. Ich bleibe locker auf der Brücke, aber bleibt die Brücke unter mir? Das Schwanken in alle Freiheitsgraden für dazu dass man nicht immer  den Fuß dahin setzt wohin man geplant hat. Für Fotos muss ich das Geländer loslassen. Um die Chinesen zu überholen ebenfalls. Das ist wie ein Drahtseilakt. Schritt für Schritt. Geschafft. Das war ein Erlebnis.

Auf der anderen Brückenseite gibt es ein kleines Resto und einen Wasserfall. Es fängt an zu regnen. Zeit für Udon. Nach meiner Kalkulation müsste gleich der Bus kommen; der vom Bahnhof; hatte ja eine Stunde Vorsprung. Aber wo ist die Haltestelle? Ich finde nur ein Schild in die andere Fahrtrichtung. Ich laufe die Häuser rauf und runter. Viele sind es nicht. Aber keine zweites Halteschild. Wieder runter zur Brücke. Ja, die Haltestelle ist oben. OK. wieder rauf. Ich bin gefrustet.

Wie sich herausstellt ist das Schild für beide Richtungen. Und ich glaube der Busfahrer hätte auch so auf mein Winken hin gestoppt. Die Straße folgt dem Flusslauf und ist sehr schmal. Bei Gegenverkehr muss aufwendig rangiert werden.

Ich steige ein paar Kilometer tiefer im Iyatal wieder aus. Hier soll es ein altes Haus geben. Keine Ahnung was mich erwartet. Einfach zwei, drei Stunden wandern. Zur Sicherheit ein Foto vom Busplan. Ziel ist der Bus um 15:30. Ein Stunde später gibt ein Backup. Allerdings werde ich dann wohl sehr sehr spät in Matsuyama ankommen.

Der Weg führt  bergauf. Sonnenschein. Das wird schweißtreibend. Ich habe nur eine grobe Entfernungsangabe und keine Karte. Ich beginne bei 460 Höhenmetern. Die Straße ist schmal. Ich bin irgendwo im Nichts mitten in Japan. Bergauf und bergauf. Ich laufe erst eine halbe Stunde. Es fühlt sich länger an. 600 Höhenmeter. Hier steht das Haus. Keiner da. Hm. Nicht mein Tag. Weiter bergauf zum Chairo, was auch immer das ist.

Auf Höhenmeter 720 das Ziel. Das wäre dann im Schnitt eine 5%-Steigung gewesen. Nicht viel. Aber das Wetter ist eine Faktor, der zu berücksichtigen ist. Und ich habe keinen Proviant (Wasser) mehr.

Wie sich herausstellt ist das Chairo eine Herberge für Wanderer. Der Hausbetreuer zeigt mir, auch wenn ich kein Gast bin, das innere. Wow. Ein traditionelles Haus mit Reetdach. Hier zu übernachten muss genauso cool sein wie in Shirakawa. Nach ein paar Fotos fährt mich der Hausbetreuer hinab zur Weggabelung, wo man aus seiner Sicht sehr leicht falsch abbiegen kann. Er nennt mir auch das Geheimnis hinter den ganzen Häusern aus Blech, die hier stehen: Die Instandhaltung der Reetdächer ist aufwendig, daher haben die meisten Besitzer eine Art Haus um das Haus gebaut. Es bewahrt die Häuser, nimmt aber der Gegend aus meiner Sicht den Charm.

Unten am Bus überlege ich kurz, ob ich zumindest zurück zu Brücke laufen soll und dann mit dem Backup-Bus zurück. Ich nehme dann doch den Bus. Am Bahnhof bleibt Zeit für eine Sakepause. Ich bedanke mich bei dem Anwohner von heute morgen, der immer noch am Bahnhof den Tag genießt.

Dann wird es etwas langweilig: Zug nach Kotohira. Koffer einsammeln. Dann mit dem Zug nach Kotohira. Weiter mit dem Zug, für 2 Stunden der Küste entlang, nach Matsuyama. Weiter nach Dogo Onsen mit der Straßenbahn und dann? Ich nutze die letzten Yen in meiner Tasche für ein Taxi.

Es stellt sich heraus, dass Dogo Onsen genau auf der anderen Seite von Matsuyama ist. Der Taxifahrer bringt mich erst zum falschen Hotel. Ich wollte zum Dogoya. Wir stehen vor dem Dogoya-ya. Knapp daneben, etwa 100m.

Das Ryokan ist der Kracher. Der Eingang, der Empfang. Die Mitarbeiterin empfängt mich im Kimono und bringt mich zum Zimmer. Tür. Langer Flur mit Papierwand links. Wie sich herausstellt ist das alles meine Zimmer. Der Raum ist riesig. Die Malerei an der Wand ein Hammer. Das Ryokan ist ein echter Gegner für die akutelle Nummer 1 dieser Reise, das Sansou Tanaka in Yufuin.

Nach dem Checkin noch ein schneller Marsch um den Block. Endlich wieder Zeit für Yukata. Ich folge der Taxiroute. Diese führt mehr oder weniger durch einen Rotlichtbezirk, von den Hotelmitarbeitern „Pink Street“ getauft. Das berühmte Dogo Onsen finde fast auf Anhieb, ebenso die Straßenbahnstation. Mehr dazu aber in den kommenden Tagen.

Erkenntnis des Tages: Ich glaube für die nächste Reise sollte ich einen Mietwagen einplanen.


Kazurabashi war die erste Hängebrücke in Japan. Sie ist 14m über dem Wasser und 45m lang.

Kotohira; Taifun 16

Auch bei meinem 7. Besuch schafft es das japanische Frühstück nicht auf meine Hitliste. Die Ursachen sind unverändert Fisch und eingelegtes Gemüse. Bevor der Tag richtig startet, werden Nachrichten konsumiert. Das wird häßlich. Das Zentrum des Taifuns wird in wenigen Stunden etwas südlich von Chikoku passieren. Kotohira ist trotzdem in der roten Zone (Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke). Die Zahlen sind beängstigend: Wind bis zu 50 m/s (180 km/h) und Regenfälle bis zu 500 mm. Als in diesem Sommer in Stromberg die Schlammlawine den Ortskern zerstörte, waren dieser Regenfälle von 50-75 mm vorausgegangen. Nur so als Vergleich.

Ich werde versuchen, so viel wie möglich zu sehen, bevor es zu schlimm/gefährlich wird. Die Straße zum Kompirasan beginnt in der Nähe vom Hotel. OK, Kotohira ist klein, somit liegt jedes Hotel nahe der Straße. Blick zum Fluss: Der Pegel ist um bestimmt 1m gestiegen. Das Wetter: strömender Regen. Erster Stop wird das Kanamaruza, Japans ältestes erhaltenes Kabuki-Theater.

Kabuki habe ich schon gesehen. Hier folgt ein Blick hinter die Kulissen und die Erfahrung, dass die ganzen Effekte bis hin zu fliegenden Schauspielern schon vor 180 Jahren existierten. Die drehende Bühne mit dem Axialrollenlager aus Holz ist heute noch in Betrieb, inklusive Personenaufzug. Aufgrund des Wetters bin ich der einzige Gast. Ich habe also meinen ganz persönlichen Guide, der mir alles zeigt und erklärt.

Das Sakemuseum hat geschlossen (Taifun). Es geht die Stufen hinauf zum Kompirasan. Es sollen viele Stufen werden. Auf den ersten hundert gibt es links und rechts viele Geschäfte. Heute sind sie alle geschlossen (Taifun). Der strömende Regen wird stärker. Regenschirm, Regenmantel und die wasserdichte Jacke sind nicht länger ausreichend. Glücklicherweise ist der Wind noch relativ schwach und konstant, dass ich überhaupt den Regenschirm benutzen kann, um die Kamera zu schützen.

Stufe um Stufe geht es hinauf. Der Regen wird noch stärker. Der Wind nimmt etwas zu. Ich passiere das Torii. Eine gerade Strecke. Komplett vom Wasser geflutet. Dann wieder Stufen. Diese sind zwar alle schräg (vgl. meine früheren Kommentare zu japanischen Tempelstufen), um den Regen abzuleiten, aber es ist so viel Regen, dass die Treppe ein einzige große Wasserkaskade ist.

Hinter zwei Kurven ist das erste große Schreingebäude. Fotos sind kaum möglich. Ein Hausmeister versucht, die Regenabflüsse von Zweigen und Lauf freizuhalten, damit zumindest etwas Wasser abfließen kann. Der Platz steht knöcheltief unter Wasser. Beim Wasserstand in meinen Schuhen ist das jetzt egal.

Es folgen weitere Stufen zum Hauptgebäude. Es war den Aufstieg wert; trotz des Regens. Nur der Blick auf die Stadt fehlt. Ich schaue in eine graues Nichts. Der Regen setzt mittlerweile auch meiner Kamera zu. Die Settings verstellen sich. (Leider bemerke ich erst morgen, das sich auch die Farbbalance und die Kontrasteinstellungen verabschiedet haben.)

Kurz nach dem Mittag beginne ich mit dem Abstieg und zähle die Stufen: 893. Unten suche ich den Udonladen, der im Lonely Planet empfohlen wurde.

Was macht man mit so einem gebrauchten Tag? Der Zugebetrieb ist eingestellt. Aber in etwa zwei Stunden soll der erste Zug nach Norden (Marugame) wieder fahren. Nach Süden geht wohl heute nichts mehr. Zwei Touristen scheinen am Bahnhof gestrandet zu sein. Sie schauen etwas planlos auf die leere Anzeigetafel.

Es bleibt Zeit für die letzte Attraktion in Kotohira: die alte Brücke. Nettes Postkartenmotiv. Der Flusspegel ist noch weiter gestiegen. Die Feuerwehr hat die beiden Stautstufen komplett geöffnet. Zum Glück lässt der Regen nach. Zu einer Überflutung der Straßen wird es wohl nicht kommen. Generell scheint Kotohira vom Taifun verschont worden zu sein.

Marugame

Es ist fast wie ein Wunder. Der Regen hat aufgehört. Der Himmel zeigt blaue Lücken. Sonnenschein. Von der Burg steht eigentlich nur noch ein kleiner Eckturm. Der Aufstieg ist anstrengend. Er ist steil und nach dem Sturm nass, laubbedeckt und rutschig. Der Turm selbst ist geschlossen (Taifun). Dafür lohnt sich der Blick in alle Himmelsrichtungen. Gerade jetzt mit diesem Licht. Man sieht die gesamte Seto-Brücke von hier. Ich ärgere mich, dass ich mein Tele im Hotel hab liegen lassen.

Nach der Burg genehmige ich mir einen Abstecher zum Hafen. Auf dem Weg dorthin und zurück finde ich ein paar gute Beispiele für die Probleme dieser Region Japans: Die schwindende Einwohnerzahl. Es gibt einen ganzen Straßenzug mit verwaisten, verfallenen Häusern. Brachland, wo früher einmal Häuser standen. Und ja, auch wilde Müllkippen.

Es wird dunkel. Ich nehme den nächsten Zug nach Kotohira. Den Taifun habe ich überstanden. Am Bahnhof von Kotohira sitzen immer noch die beiden Touristen. Mittlweile sind auch wieder Züge nach Süden auf der Anzeigetafel.

Der Abend endet mit Onsen und Abendessen im Izakaya von gestern. Das Onsen ist dabei etwas problematisch. Jemand hat die Heizung des Rotenburo deaktiviert. Das Wasser ist kalt, was der Rezeption etwas peinlich ist. Das Aufheizen wird etwas dauern. Als Entschädigung darf ich eines der beiden private Indoor Baths benutzen. Ein Traum von einem Badezimmer. So gesehen ein Glück, dass die Heizung aus war.

Erkenntnis des Tages: Taifun heißt „großer Wind“ meint aber auch viel, sehr viel Regen.


[Nachtrag von 2019: NHK hat diese Show: Journey’s in Japan. Für die letzten 2 Reisen habe ich dort immer wiederIdeen gesammelt. Jetzt endlich gab es eine Show über einen Ort, wo ich schon war. Kotohira. Ich war während eines Taifun-Auftaktes dort. Alle Shops in der Straße zum Schrein waren geschlossen. Hier ein paar Fotos, von einem Tag ohne Regen.]